Armenien will sich mit der Türkei versöhnen

Zwischen Armenien und der Türkei herrschte lange Funkstille. Jetzt arbeiten die Staaten daran, ihre Beziehungen zu normalisieren. Der armenische Außenminister Edward Nalbandjan berichtet im Interview mit WELT ONLINE über das Verhältnis der beiden Länder – und fordert, dass der Völkermord an Armeniern von Ankara anerkannt wird.

Die
Türkei und Armenien bemühen sich offenbar verstärkt um eine
Normalisierung ihrer Beziehungen. Im Juli habe es dazu in Bern in der
Schweiz eine Serie von Treffen in guter Atmosphäre gegeben, berichtete
die türkische Tageszeitung „Hürriyet". Der armenische Präsident Sersch
Sarkissjan hatte seinen türkischen Amtskollegen Abdullah Gül zuletzt
eingeladen, ein Fußballspiel der beiden Nationalmannschaften am 6.
September anzuschauen. Der Besuch in Armenien, der von türkischer Seite
nicht ausgeschlossen wird, soll einen Neubeginn der beiden Staaten
markieren, die keine diplomatischen Beziehungen unterhalten. WELT
ONLINE sprach mit Armeniens Außenminister Edward Nalbandjan über das
komplizierte Verhältnis und die beiden Themen, die es vergiften: der
Völkermord von 1915 und der Streit um die Enklave Berg-Karabach.

WELT ONLINE: Die armenisch-türkische Grenze ist seit 1993 geschlossen. Was unternimmt Armenien, um sie zu öffnen?

Edward
Nalbandjan: Wir unternehmen gar nichts, weil die Grenze von unserer
Seite aus offen ist. Die Türkei hält die Grenze geschlossen. Wir sind
bereit für eine konstruktive Politik gegenüber der Türkei, um alle
Fragen zu klären.

WELT
ONLINE: Es ist zu hören, dass Ankara Bedingungen für die Öffnung der
Grenze stellt: Eriwan soll etwa den Völkermord an der Armeniern während
des Ersten Weltkriegs im Osmanischen Reich nicht mehr ansprechen.

Nalbandjan:
Es gibt viele Bedingungen. Wenn man keine offiziellen Beziehungen
aufnehmen will, findet man immer einen Grund dafür. Meine Regierung
wird sich weiterhin für die Anerkennung dieses Verbrechens gegen die
Menschlichkeit einsetzen. Das Thema betrifft nicht nur uns, sondern die
ganze internationale Gemeinschaft. Wir wollen nicht, dass sich solche
Verbrechen im 21. Jahrhundert wiederholen. Deswegen dürfen sie nicht in
Vergessenheit geraten. Es ist kein Zufall, dass viele Staaten, viele
Parlamente, den Völkermord anerkannt haben. Vor drei Jahren hat auch
der Deutsche Bundestag das Massaker an meinem Volk in einer Resolution
kritisiert.

WELT ONLINE: Die Türkei fordert, die armenischen Truppen aus sechs besetzten Gebieten und aus Berg-Karabach abzuziehen.

Nalbandjan:
Über Berg-Karabach verhandeln wir nicht mit der Türkei, sondern mit
Aserbaidschan. Wir wollen auf dem Weg der Kompromisse eine Lösung
finden.

WELT ONLINE: Welche Haltung vertritt Armenien im Karabach-Konflikt?

Nalbandjan:
Das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung von Berg-Karabach steht für
uns an erster Stelle. Sie soll selbst entscheiden, welchen Status
Berg-Karabach erhält. Außerdem wollen wir, dass eine Verbindung
zwischen Armenien und Berg-Karabach besteht und dass die Sicherheit der
Bevölkerung international garantiert wird.

WELT ONLINE: Was bedeutet die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo für die Lösung der Karabach-Frage?

Nalbandjan:
Auch wenn behauptet wird, jeder Konflikt erfordere eine spezifische
Lösung und beim Kosovo handle es sich nicht um einen Präzedenzfall,
wird er natürlich internationale Folgen haben.

WELT
ONLINE: Russland ist der militärische Partner Armeniens. Wie beurteilen
Sie die bisherige Politik von Präsident Dmitri Medwedjew?

Nalbandjan:
Wie bereits unter Präsident Wladimir Putin bleibt Russland auch unter
seinem Nachfolger ein wichtiger sicherheitspolitischer Verbündeter
Armeniens. Russland hat sich als Stabilitätsanker in der Kaukasusregion
bewährt. Wir werden unsere Freundschaft zu Russland fortsetzen.

WELT ONLINE: Ihre Nachbarn wollen der Nato und der EU beitreten. Was will Armenien?

Nalbandjan:
Die Nato-Mitgliedschaft steht nicht auf unserer Tagesordnung, auch wenn
wir mit der Nordatlantikallianz viele gemeinsame Programme unterhalten.
Wir möchten unsere Beziehungen zu Europa intensivieren. Ohne
Deutschland können wir uns Europa nicht vorstellen.