Zwischen Assimilation und G-Frage

Eine stille Minderheit: Die Armenier in Deutschland fühlen sich als Teil der Gesellschaft

Ein
„Little Armenia" sucht man in Deutschland vergebens. Es gibt kein Stadtviertel,
in dem überwiegend Armenier leben und ihre Geschäfte betreiben wie in Los
Angeles. Die wichtigste armenische Kirche, die „Surp Sahag-Mesrop" in Köln -
Sitz der Diözese -, steht auch nicht in der Nähe einer Prachtstraße wie die
Cathédrale St-Jean-Baptiste in Paris in der Nähe der Champs-Elysées. Während in
den Vereinigten Staaten eineinhalb Millionen und in Frankreich 500.000 Menschen
armenischer Herkunft leben, sind es in Deutschland lediglich etwa 50.000. Viele
von ihnen gedenken jedes Jahr am 24. April der 1,5 Millionen Opfer des
Völkermords von 1915. An jenem Tag ließ die jungtürkische Regierung 200
armenische Intellektuelle in Konstantinopel verhaften und deportieren.

Die
meisten Armenier kamen ab Anfang der sechziger Jahre als Gastarbeiter aus der
Türkei und Griechenland nach Deutschland. Infolge des Bürgerkriegs im Libanon
und der islamischen Revolution in Iran suchten später Armenier auch aus diesen
Staaten Zuflucht. Von 1990 an zogen infolge des Zerfalls der Sowjetunion und
des armenisch-aserbaidschanischen Krieges um Nagornyj Karabach vermehrt
Menschen aus der Republik Armenien und ehemaligen sowjetischen Gebieten nach
Deutschland. Die Mehrheit aber kommt aus der Türkei und Armenien.

Das
Verhältnis zu den in Deutschland lebenden Türken hängt für den siebzig Jahre
alten Vorsitzenden des Zentralrats der Armenier in Deutschland, Schawarsch
Owassapian, von ihrer Einstellung zum Völkermord ab: „Mit Nationalisten, die
eine Genozid-Lüge verbreiten, haben wir Probleme." Unmittelbar spüren dies
Armenier, die sich im Internet für die Anerkennung des Völkermords einsetzen. „Türkische
Lobbys durchsuchen gezielt Seiten nach armenischen Aktivitäten und erstellen
Listen", berichtet ein Student. „Wenn die wissen, man ist Armenier und auch
noch politisch aktiv, dann ist man ein rotes Tuch und wird auf eine Liste
gesetzt", sagt er. „Wir haben euch damals ausgelöscht und bringen euch hier
auch noch um" - habe man ihm in einer von vielen Droh-Mails geschrieben. Er
habe aber auch einige türkische und kurdische Freunde, die den Genozid
anerkennen. Kategorische Forderungen deutscher Politiker nach einer
türkisch-armenischen Versöhnung weist er zurück: „Wir sind die Opfer, ein Opfer
reicht einem Täter doch nicht die Hand."

Ohannes
Altunkaya (29) hat es auch schon erlebt, dass sich Türken bei ihm
entschuldigen. „Ich erwarte aber nicht, dass sich Personen entschuldigen, die
nichts mit dem Völkermord zu tun hatten, sondern dass sich der türkische Staat
entschuldigt", sagt Altunkaya, Jugendbeauftragter des ZAD.

Owassapian
nennt es „beschämend", dass in Deutschland Schüler nicht über die Vertreibung
und Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich und die Rolle des Deutschen
Reiches als dessen Verbündeter aufgeklärt werden. Die Bundesländer sollten der
Aufforderung des Bundestages von 2005 entsprechen und das Thema in die
Lehrpläne aufnehmen. Bisher ist dies lediglich in Brandenburg geschehen. „Wie
soll man einen Völkermord in Zukunft verhindern, wenn das Thema nur politisch
behandelt wird und nicht wahrheitsgerecht?", fragt Owassapian. Es sei wichtig,
dass ähnlich wie in Frankreich die Leugnung dieses Völkermordes unter Strafe
gestellt werde.

Altunkaya
hält die offizielle Anerkennung des Völkermordes auch für wichtig, um den Blick
für das kulturelle Erbe zu weiten. „Armenier zu sein heißt nicht, Genozid-Opfer
zu sein, wir müssen mit der Geschichte abschließen können", sagt er. Der
Umstand, dass Armenier nahezu auf das ganze Bundesgebiet verteilt leben,
erschwert die Pflege der gemeinsamen Kultur. Seit einigen Jahren finden vor
allem jüngere Armenier im Internet zueinander. Wie sehr sich Menschen
armenischer Herkunft in Deutschland ihrer Kultur verbunden fühlen, hängt von
ihrer Erziehung und persönlichen Einstellung ab. Einwanderer, die keine
armenischen Schulen besucht haben, sprechen untereinander oft die Sprache ihres
Ursprungslandes. Ihre Kinder haben in Deutschland außer Eintagsschulen in den
größeren Gemeinden oder Sprachkursen an Volkshochschulen (Düsseldorf,
Karlsruhe) keine Möglichkeit, die Sprache zu lernen. Es gibt keine armenischen
Schulen wie in Frankreich oder in den Vereinigten Staaten. Daher setzt sich
Androsh Minayan (25), der in seiner Heimatstadt Kempen keinen Kontakt zu
Armeniern hat, erst seit zwei Jahren mit seiner Herkunft und der Kultur
auseinander. Da sei er auf die Internetseite der armenischen Gemeinde in Köln
gestoßen und habe sich entschlossen, dem Ersteller zu helfen. „Unter Armeniern
fühle ich mich sehr armenisch", sagt er, „aber im Alltag habe ich überwiegend
Kontakt zu Deutschen."

Viele Armenier haben die
deutsche Staatsangehörigkeit und fühlen sich als Teil dieser Gesellschaft.
„Armenier integrieren sich seit jeher sehr leicht", sagt der Erzbischof der
armenischen Diözese in Deutschland, Karekin Bekdjian. Die Armenisch-Apostolische Kirche - die älteste
Staatskirche überhaupt - hat entschieden dazu beigetragen, dass das Volk auch
in Zeiten der Fremdherrschaft seine Kultur erhalten konnte. Mit Sorge nimmt der
Primas wahr, dass die Religiosität abnimmt. „An dem Tag, an dem sich die Türen
der armenischen Kirche in der Diaspora schließen, werden sie ihre armenische
Identität nicht mehr bewahren können", sagt er. Von den etwa zehn Millionen
Armeniern in der Welt leben lediglich drei Millionen in der Republik im
Südkaukasus. „Die armenische Kultur möchte ich erhalten wissen, aber ihr Rang
wird immer geringer, bis sie zur Folklore verkommt", sagt Meline Pohlmann (71),
die seit 1968 in Deutschland lebt. Vor allem beherrschten immer weniger
Menschen die westarmenische Sprache, die von Armeniern in der Türkei sowie im
Nahen Osten gebraucht wird.

 

F.A.Z.    25.4.2009    Politik   Seite 4