Türkisch-Armenische Beziehungen

Der Entspannungsprozess zwischen der Türkei und Armenien gerät ins Stocken: Die gemeinsame Grenze bleibt vorerst geschlossen - weil ein drittes Land protestiert.

Das überwiegend muslimische Aserbaidschan, von der Türkei als
Brudervolk verstanden ("Eine Nation, zwei Staaten"), läuft gegen die
geplante Normalisierung Sturm. Armenien müsse erst die umstrittene
Enklave Berg-Karabach räumen, lautet die Forderung.

Anfang der
1990er Jahre hatte das armenische Militär das überwiegend von
Landsleuten bewohnte, zu Aserbaidschan gehörende Gebiet in einem der
blutigsten Kriege der nachsowjetischen Zeit erobert und Zehntausende
Menschen vertrieben.

Aus Protest gegen die türkisch-armenische
Annäherung blieb der aserbaidschanische Staatspräsident Ilcham Alijew
einer internationalen Konferenz in Istanbul fern. Dann wurde den Türken
sogar mit einem Ende der Gasversorgung gedroht, wie türkische Zeitungen
berichtet haben.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip
Erdogan stellte nun klar, dass es ohne Einigung über Berg-Karabach kein
Abkommen geben werde. Die Reaktionen aus Aserbaidschan kritisiert er
aber. "Wir haben die Aserbaidschaner auf jeder Konferenz in Schutz
genommen", sagte er.

Politiker aus den Reihen von Erdogans
islamisch- konservativer Regierungspartei AKP haben auf einen Besuch in
Aserbaidschan verzichtet, eine Gruppe weiblicher Parlamentarier aus
Baku strafte die AKP bei einem Türkei-Besuch mit Missachtung.

Denn
in Ankara scheint der Wille für eine Normalisierung der Beziehungen zum
christlichen Armenien vorhanden. Erdogans außenpolitischer Chefberater
Ahmet Davutoglu ist der Architekt einer Politik, die nach einer Lösung
der Konflikte mit den Nachbarstaaten der Türkei strebt. Sonst könne
sich die Türkei nicht zu der gewünschten politischen und
wirtschaftlichen Größe finden, sind die Anhänger dieser Lehre
überzeugt.

"Eine weitere verpasste Chance"

Die
Türkei und Armenien entzweit vor allem der Streit um die Bewertung der
Gräueltaten, die 1915 im Osmanischen Reich an Armeniern begangen worden
sind. Armenien verlangt, dies müsse als Völkermord eingestuft werden.

Die
türkische Geschichtsschreibung hat die Armenier als Aggressoren
dargestellt, die sich mit dem russischen Kriegsgegner verbündet hätten.
Inzwischen sind die Türkei und Armenien übereingekommen, dass der
Streit fast hundert Jahre später eine politische Annäherung nicht
blockieren darf. Auch deswegen hat Obama in der Türkei erklärt, er
werde das Wort Völkermord zunächst nicht verwenden.

Vartan
Oskanian, der bis 2008 zehn Jahre lang Außenminister Armeniens war,
fordert die Türkei nun zum Handeln auf. "Zwischen zwei feindlichen
Staaten eingeklemmt, kann Armenien keine Zugeständnisse machen, dies
ist unwahrscheinlich", schrieb der Politiker, dessen Familie selbst aus
dem Süden Anatoliens stammt, in einem Kommentar.

"Die Türkei
hat die historische Gelegenheit, die regionalen Beziehungen auf eine
neue Ebene zu heben. Symbole und Gesten reichen nicht. Das Warten auf
eine Lösung für Berg-Karabach ist keine Lösung. Es ist nur eine weitere
verpasste Chance."

 

http://www.sueddeutsche.de/politik/505/466090/text/