Die Angst vor dem G-Wort

Obama in der Türkei

von Michael Martens

Wird er, oder wird er
nicht? Viele Türken sind stolz darauf, dass der erste „echte"
Staatsbesuch Barack Obamas ausgerechnet ihrem Land gilt. In London,
Baden-Baden, Straßburg und Prag standen für den immer noch mächtigsten
Mann der Welt schließlich nicht einzelne Länder im Mittelpunkt, sondern
Gipfeltreffen mit ganzen Rudeln von Staats- und Regierungschefs. Nach
Ankara hingegen komme der amerikanische Präsident ohne multilaterale
Girlanden, einzig aus Verständnis für die strategische Bedeutung der
Türkei - so zumindest die türkische Lesart, die Obamas Kurztrip nach
Kanada im Februar mit der Bemerkung unter den Tisch fallen lässt, dabei
habe es sich nur um den für alle amerikanischen Präsidenten üblichen
Antrittsbesuch in Ottawa gehandelt.

Doch die Vorfreude ist nicht
ungetrübt - mal abgesehen von dem Streit über einen
Nato-Generalsekretär Rasmussen. Denn zumindest in der politischen Elite
geht eine bange Frage um: Wie hält es der Gast mit den Armeniern? Wird
der Präsident das schlimme Wort aussprechen, das „G-Wort"? Diese Frage
stellt sich Jahr für Jahr aufs Neue, immer vor dem 24. April. An diesem
Tag geben amerikanische Präsidenten eine Erklärung ab, die dem Gedenken
an jene Massaker gewidmet ist, welche von türkischen Politikern meist
als „Ereignisse von 1915" verharmlost werden. Im zweiten Weltkriegsjahr
war der jungtürkische Kriegsminister Enver Pascha bei der Eroberung des
Kaukasus auch deshalb gescheitert, weil Armenier die russische
Verteidigung unterstützt hatten. Am 24. April 1915 verhafteten die
Jungtürken in Istanbul mehr als 200 Armenier und ließen fast alle
ermorden. Im Mai desselben Jahres setzte mit dem "Gesetz über die
Bevölkerungsumsiedlung" dann die Deportation der Armenier aus Anatolien
ein. Hunderttausende starben auf dem Todesmarsch in der syrischen Wüste.

Vehementes Wehren gegen das Wort „Genozid"

Nicht alle,
aber viele der damit befassten internationalen Historiker bezeichnen
die Verbrechen von 1915 als „Genozid". Gegen dieses Wort aber wehrt
sich die Türkei vehement, und nie war der Abwehrkampf so verzweifelt
wie in diesem Jahr. Denn mit Rücksicht auf die starke armenische Lobby
haben die „Ereignisse von 1915" auch im jüngsten amerikanischen
Präsidentenwahlkampf wieder eine Rolle gespielt, und sowohl Obama als
auch Hillary Clinton haben sich an Deutlichkeit nicht überbieten
lassen. Obama etwa, der von der Deportation von nahezu zwei Millionen
Armeniern sprach, von denen etwa 1,5 Millionen getötet wurden, sagte:
„Der armenische Genozid ist keine Behauptung, persönliche Meinung oder
Sichtweise, sondern eine ausführlich dokumentierte Tatsache . . .
Amerika hat einen Führer verdient, der wahrheitsgemäß über den
armenischen Völkermord spricht und allen Völkermorden energisch
entgegentritt. Ich habe vor, dieser Präsident zu sein."

Wird der
Präsident Obama sich an die Worte des Kandidaten Obama erinnern? Suat
Kiniklioglu, Sprecher des außenpolitischen Ausschusses im türkischen
Parlament und einer der profiliertesten Außenpolitiker in der „Partei
für Gerechtigkeit und Entwicklung" (AKP) des Ministerpräsidenten Recep
Tayyip Erdogan, warnt: „Sollte Obama das G-Wort benutzen, kann es einen
ernsthaften Bruch in den Beziehungen zwischen unseren Staaten geben. Es
gibt keinen Regierungschef in diesem Land, der das einfach übergehen
könnte."

Weil das wohl zu sehr danach klingt, als wolle Ankara dem
Präsidenten einen Maulkorb anlegen, fügt Kiniklioglu dieser Drohung
rasch Argumente hinzu. Einige davon sind nicht nur aus
Regierungskreisen zu hören, sondern auch von liberalen Intellektuellen
in Istanbul oder westlichen Diplomaten in der Hauptstadt. Das
wichtigste: Die „Erbfeinde" Türkei und Armenien befinden sich in einem
ebenso historischen wie fragilen Annäherungsprozess, der womöglich noch
in diesem Jahr zur Öffnung der Grenzen und zu der Aufnahme von
diplomatischen Beziehungen zwischen Ankara und Eriwan führen wird.

Großes
Aufsehen erregte im September die Reise des türkischen Präsidenten
Abdullah Gül zu dem Fußballspiel zwischen Armenien und der Türkei,
welches die Lostrommel zur WM-Qualifikation 2010 den Nachbarn beschert
hatte; es war die erste Reise eines türkischen Präsidenten nach
Armenien. Nun soll wenige Tage nach Obamas Besuch in Ankara der
türkische Außenminister Ali Babacan nach Eriwan reisen. In Ankara ist
zu hören, bei dieser Gelegenheit könne womöglich gar die geplante
Öffnung der Grenzen verkündet werden. Suat Kiniklioglu bestätigt das
zumindest indirekt: „Wir stehen kurz vor einer Vereinbarung mit den
Armeniern." Eine Äußerung von Obama könne sich deshalb "sehr
nachteilig" auswirken: „Wir wissen, dass die Amerikaner die Bedeutung
unseres Rapprochements verstehen", so der AKP-Politiker, "und wir haben
ihnen außerdem deutlich zu verstehen gegeben, dass es auch der Qualität
der Beziehungen zwischen der Türkei und den Vereinigten Staaten
abträglich wäre, wenn Obama das G-Wort benutzte."

Gefahr für die Aussöhnung mit den Armeniern?

Als
Hindernis für eine Aussöhnung mit den Armeniern galten in den
vergangenen Jahren, zumindest aus Ankaras Sicht, indes nicht Äußerungen
amerikanischer Präsidenten, sondern die Weigerung Eriwans, auf den
Vorschlag Erdogans zur Einberufung einer Historikerkommission
einzugehen. Die Türken sind sich ihrer Sache offenbar so sicher, dass
sie vorgeschlagen haben, türkische, armenische und internationale
Fachleute zu berufen, die sich mit dem Thema befassen sollen. Dem
Vernehmen nach ist Armenien unter seinem im Februar 2008 gewählten
Präsidenten Sersch Sarkisjan von dem Widerstand gegen ein solches
Vorhaben abgerückt. Über Sarkisjan ist jedenfalls Gutes zu hören in
Ankara. Staatspräsident Gül hat ihn bereits zum Besuch des
türkisch-armenischen Rückspiels im Oktober eingeladen, und Suat
Kiniklioglu ist optimistisch, dass es bis dahin weitere Fortschritte
geben wird: „Die jetzige Führung in Eriwan hat verstanden, dass der
Status quo nicht im Interesse Armeniens ist."

Sollte dieser
politische Prozess also tatsächlich an einem einzigen Wort scheitern?
Nicht alle glauben, dass es dazu kommen wird, sollte Obama tatsächlich
von einem Genozid sprechen, zumal in der Türkei oft vergessen oder
verschwiegen wird, dass es bereits einen amerikanischen Präsidenten
gab, der das „G-Wort" erwähnt hat - und das sogar in dunkelstmöglichem
Zusammenhang. Ronald Reagan ließ im April 1981 folgende Mitteilung
verbreiten: „Wie der Völkermord an den Armeniern vorher und der ihm
folgende Völkermord an den Kambodschanern - und wie zu viele andere
solche Verfolgungen zu vieler anderer Völker - dürfen die Lehren des
Holocausts niemals vergessen werden."




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