Mahnmal könnte auch an Armenier erinnern

Die Forderung der Armenier nach einem Mahnmal auf deutschem Boden ist verständlich – und richtig. Es müsste auch keine neue Gedenkstätte errichtet werden.

Jedes Jahr am 24. April gedenken Armenier in aller Welt der Opfer des Völkermordes an ihren Landsleuten in den Jahren 1915-1916. Im Zuge einer groß angelegten ethnischen Säuberung der Türkei wurden etwa anderthalb Millionen Menschen vom Leben zum Tode befördert. Die meisten starben an Hunger, Durst und Erschöpfung – nachdem sie in die Wüste getrieben und dort ihrem Schicksal überlassen wurden.

Bis heute bestreiten Repräsentanten der Türkei, dass es den Völkermord an den Armeniern gegeben hat. Sie sprechen von „tragischen Ereignissen“ und „kriegsbedingten Maßnahmen“, Kollateralschäden des Ersten Weltkriegs; wer es in der Türkei wagt, von einem „Völkermord“ an den Armeniern zu sprechen oder zu schreiben, dem droht ein Verfahren nach Paragraf 301 des türkischen Strafgesetzbuches wegen „Verächtlichmachung des Türkentums“.

Die Armenier ihrerseits fordern seit Jahrzehnten, dass die Türken aufhören, die historischen Tatsachen zu leugnen und sich zu ihrer Verantwortung bekennen – wie die Deutschen gegenüber den Juden nach dem Holocaust. Die Türken sehen dazu keinen Anlass.

 

"Im Blickfeld des Reichtages"

Die Armenier wissen, dass die Zeit gegen sie arbeitet. Deswegen will die armenische Gemeinde in Deutschland, dass in Berlin „im Blickfeld des Reichstages“ ein Mahnmal gebaut wird, „das an die deutsche Mitverantwortung für dieses Menschheitsverbrechen erinnern“ soll. Deutschland habe damals „als engster Verbündeter der Türkei“ dem Morden „tatenlos zugesehen und jede Hilfe verweigert“.

Auch dafür gibt es zahlreiche Belege. Darunter einen Bericht des damaligen deutschen „Botschafters in außerordentlicher Mission“ in Konstantinopel, Graf Wolff Metternich, über die türkischen Gräuel an den Armeniern, den der damalige deutsche Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg mit der Anmerkung zu den Akten legte: „Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht.“
 

So gesehen ist die Forderung der Armenier nach einem Mahnmal auf deutschem Boden alles andere als unbillig. Der ansonsten auf historische Ungerechtigkeiten und behördliche Versäumnisse jeder Art sehr sensibel reagierende Götz Aly kommentierte sie in der „Berliner Zeitung“ mit den Worten: „Wie wäre es mit je einem Zentralmonument für die ermordeten Indianer, für die von französischen Revolutionären massakrierten Girondisten, für die von Kommunisten liquidierten Kulaken oder für die von Belgiern zu Hunderttausenden hingeschlachteten Kongolesen? Weitere Vorschläge nimmt das NKGMGaZ (Nationales Komitee für das Größte Mordgedenken aller Zeiten) jederzeit entgegen.“ So bekämen wir „die lang ersehnte Massenmord-Promenade rund um den Bundestag“.

Aly reagierte wie ein Schrebergärtner, der nicht möchte, dass vor seiner Parzelle eine Mülldeponie gebaut wird. Was immer es war, das ihn zu einer so unsäglichen Stellungnahme bewog, er demonstrierte damit die Arroganz eines Historikers, der zwischen Opfern erster und zweiter Klasse unterscheidet.

Dabei müsste gar kein neues Mahnmal gebaut werden. Seit 2005 gibt es „im Blickfeld des Reichstages“ das „Mahnmal für die ermordeten Juden Europas“. Es besteht aus 2711 Betonstelen. 2711 Stelen für sechs Millionen ermordete Juden.

 

Ein Fünftel der Stelen für die Armenier

Das Mahnmal würde nichts von seiner Nachdrücklichkeit verlieren, wenn man es nicht nur den Juden sondern auch den Armeniern widmen würde. War doch der Völkermord an den Armeniern eine Art Generalprobe für den Holocaust an den Juden. Der Unterschied lag vor allem in der Methode.

Während die Türken den Job auf die konventionelle Art erledigten, setzten die Deutschen moderne Technik sein. Handarbeit gegen industrielle Massenabfertigung. Und falls die Zahl der Opfer doch eine Rolle spielen sollte, könnte man das Mahnmal proportional aufteilen: vier Fünftel der Stelen für die Juden, ein Fünftel für die Armenier.

Dieses Verfahren hätte zudem den Vorteil, dass man auch weitere Opfergruppen integrieren könnte, die etwa eine halbe Million Sinti und Roma zum Beispiel, die auch ein eigenes Mahnmal haben möchten. Dann müsste man nur die Anteile neu berechnen und die Stelen entsprechend markieren. Auf ein paar Stelen mehr oder weniger sollte es dabei nicht ankommen.

Das „Variable Integrierte Mahnmal“, abgekürzt VIM, wäre mehr als eine Geste der posthumen Gerechtigkeit. Es wäre eine Demonstration der Solidarität der Opfer untereinander, die es bis jetzt den Tätern überlassen haben, darüber zu befinden, welcher Opfer gedacht werden soll und welcher nicht.

Es wäre auch eine fällige Korrektur der Formel von der „Singularität“ des Holocaust, die in der Praxis dazu geführt hat, dass der „Widerstand“ gegen die Nazis umso stärker wird, je länger das Dritte Reich tot ist, während angesichts aktueller Massenmorde, wie z.B. in Darfur, Debatten darüber geführt werden, ob sie die Tatbestandsmerkmale eines „Genozids“ erfüllen.

Offenbar fängt ein richtiger Völkermord erst bei sechs Millionen an. Alles drunter fällt in die Kategorie „tragische Ereignisse“ am Rande eines Krieges.