Armenischer Journalist und Henri Nannen Preisträger Hrant Dink erneut wegen „Beleidigung des Türkentums“ angeklagt

Der Herausgeber der in Istanbul erscheinenden armenischen Wochenzeitung „Agos“ soll erneut vor Gericht. Hrant Dink, der für sein Eintreten für die Pressefreiheit im Mai dieses Jahres den Henri Nannen Preis erhielt, drohen bei einer Verurteilung bis zu drei Jahren Gefängnis. Erst kürzlich hatte ein Berufungsgericht bereits eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten bestätigt. Somit müsste er bei einer erneuten Verurteilung auch diese Strafe absitzen. Während das Verfahren gegen Orhan Pamuk eingestellt und das gegen Elif Shafak aus Mangel an Beweisen eingestellt wurde, muss Hrant Dink also mit einer erneuten Verurteilung rechnen. Es scheint, dass die türkischen Gerichte eine „Beleidigung des Türkentums“ durch einen türkischen Intellektuellen eher zu tolerieren bereits sind, als durch einen Armenier, der sich Jahren mutig für die Rechte armenischen Minderheit einsetzt.

Der Zentralrat der Armenier in Deutschland verurteilt die
Terrorisierung Hrant Dinks durch die türkische Justiz auf das Schärfste.  Die demokratische Öffentlichkeit und die
europäischen Politiker und Institutionen hat sich zu Recht über die Prozesse
gegen prominente türkische Schriftsteller wie Orhan Pamuk und Elif Shafak
empört. Wir erwarten, dass sie in derselben Entschiedenheit dagegen
protestiert, wenn ein kritischer armenischer Journalist von nationalistischen
Richtern und Staatsanwälten über Jahre hinweg ständig vor Gericht gezerrt wird
und sogar dort gewalttätigen Angriffen von fanatischen Nationalisten ausgesetzt
ist.

 

Orhan Pamuk wurde angeklagt, weil er in einem Interview die
Ermordung von über 1 Millionen Armeniern erwähnt hat, Elif Shafak, weil sie in
ihrem Roman ebenfalls den Völkermord an den Armeniern thematisiert. Wir
begrüßen es, dass immer mehr türkische Intellektuelle den Mut aufbringen, der
offiziellen türkischen Geschichtsschreibung zu widersprechen und das Verbrechen
an den Armeniern als Völkermord bezeichnen. Die absurden Prozesse gegen Orhan
Pamuk, Elif Shafak, Hrant Dink und andere kritische Intellektuelle zeigen, dass
die Türkei nicht im Geringsten an einem Dialog zwischen den beiden Völkern
interessiert ist.

Wir erinnern daran, dass in der im Juni 2005 vom Bundestag
beschlossenen Resolution die Bundesregierung aufgerufen wurde, dafür
einzutreten, dass sich Parlament, Regierung und Gesellschaft der Türkei mit
ihrer Rolle gegenüber dem armenischen Volk in Geschichte und Gegenwart
vorbehaltlos auseinandersetzt. Gemäß der Bundestagsresolution sollte sich die
Bundesregierung auch für die Gewährung der Meinungsfreiheit in der Türkei,
insbesondere auch bezüglich des Schicksals der Armenier, einsetzen.

 

Der ZAD appelliert an die deutsche Politik und Öffentlichkeit,
sich entschieden für die sofortige Einstellung aller Gerichtsverfahren gegen
Hrant Dink und andere Intellektuelle in der Türkei einzusetzen und die
Abschaffung des § 301 und aller übrigen undemokratischen Maulkorb-Paragraphen
zu fordern. Der Türkei muss deutlich gemacht werden, dass die Öffentlichkeit in
Europa es nicht widerspruchslos hinnimmt, wenn die Stimme der Armenier in der
Türkei zum Schweigen gebracht werden soll.

 

Zentralrat
der Armenier in Deutschland e.V.

Frankfurt

29. September
2006