In diesem Appell fordern wir, dass die drängenden menschenrechtlichen und humanitären Fragen in Armenien und der Region nicht als Randthema behandelt werden, sondern einen zentralen Platz im Gespräch mit Premierminister Paschinjan einnehmen.
Den vollständigen Appell finden Sie im Anhang.
Mit freundlichen Grüßen
Zentralrat der Armenier in Deutschland
Appell an Bundeskanzler Merz
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Merz,
anlässlich des heutigen Empfangs von Premierminister Nikol Paschinjan im Bundeskanzleramt möchten wir unsere dringende Bitte und Erwartung an Sie richten, dass bei Ihrem Gespräch mit dem armenischen Regierungschef die drängenden Menschenrechts- und humanitären Fragen in der Region nicht nur Randthema bleiben, sondern einen gleichrangigen Platz neben bilateraler Kooperation und Wirtschaftspolitik einnehmen. Wir stützen uns dabei ausdrücklich auf unseren gemeinsamen Appell vom 21. August 2025 von sechs Menschenrechtsorganisationen (Gesellschaft für bedrohte Völker, Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, Christian Solidarity International (CSI), Stephanus-Stiftung für verfolgte Christen, der Arbeitsgruppe Anerkennung – Gegen Genozid, für Völkerverständigung e.V., Zentralrat der Armenier in Deutschland): https://www.aga-online.org/wp-content/uploads/Appell-an-Bundesaussenminister-Dr.-Wadephul_21082025.pdf
Mit diesem Appell hatten wir uns damals an den Bundesaußenminister gewandt, um einen gerechten und nachhaltigen Frieden zwischen Armenien und Aserbaidschan zu fördern. Zu den vertrauensbildenden Maßnahmen, die dafür unabdingbar sind, gehört die sofortige Freilassung der in Aserbaidschan auch nach Ansicht des Europäischen Parlaments rechtswidrig festgehaltenen Gefangenen sowie der Angehörigen der einstigen politischen Führung der de facto-Republik Arzach (Berg-Karabach). Ihre sofortige Freilassung bleibt eine zwingende Voraussetzung für jeden glaubwürdigen Friedensprozess.
Es muss zudem unbedingt sichergestellt werden, dass die Haftbedingungen für die armenischen Gefangenen den internationalen Standards und Übereinkommen entsprechen, insbesondere den internationalen Standards des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen. Die Familie des Gefangenen Viken Euljekian klagt beispielsweise Aserbaidschan der Zurückhaltung lebensnotwendiger medizinischer Betreuung an, während sich dessen Zustand im Bakuer Gefängnis verschlimmert. Seine Familie gibt zu bedenken, dass die aserbaidschanischen Behörden ihm monatelang eine angemessene Behandlung verweigert haben, sodass er jetzt gehunfähig ist.
Zugleich besteht die berechtigte Sorge, dass die armenische Regierung sich nicht umfassend und energisch genug für die armenischen Häftlinge in Aserbaidschan einsetzt, ebenso wenig für die juristischen, politischen und sozialen Belange der völkerrechtswidrig aus Berg-Karabach vertriebenen Bevölkerung. Diese Vertriebenen sieht Regierungschef Paschinjan offenbar als innen- und außenpolitischen Störfaktor.
Besonders wichtig ist es uns angesichts des Besuchs von Herrn Paschinjan, die äußerst besorgniserregenden Entwicklungen in Armenien selbst anzusprechen, denn sie destabilisieren die ohnehin angespannte Lage des kleinen Landes: Die Einschränkung der Meinungsfreiheit, die politisch motivierten Inhaftierungen Andersdenkender und Regierungskritiker sowie die Festnahme von inzwischen vier Erzbischöfen – damit ein Drittel aller in Armenien tätigen Erzbischöfe – werfen ernsthafte Fragen zur Rechtsstaatlichkeit und zum Schutz religiöser und zivilgesellschaftlicher Freiheiten auf. Obwohl die armenische Verfassung der armenisch-apostolischen Kirche aufgrund ihrer historischen Bedeutung eine Sonderstellung einräumt, entsteht aus dem derzeitigen Vorgehen Paschinjans der Eindruck, dass er die Kirche spalten bzw. unter staatliche Kontrolle bringen will. Internationale Organisationen wie der Europarat haben wiederholt die Existenz politischer Gefangener in Armenien kritisiert, wobei die Definition „politischer Gefangener“ oft umstritten ist, da die Regierung Haftgründe wie „Terrorismus“ oder „Staatsstreich“ anführt.
Besorgniserregend ist zudem, dass in Deutschland lebende Armenierinnen und Armenier, die die rechtsstaatlichen Einschränkungen in Armenien öffentlich kritisieren, zunehmend befürchten müssen, nicht mehr nach Armenien einreisen zu dürfen.
Mit Dank im Voraus und freundlichen Grüßen
Sarah Reinke, Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)
Dr. Tessa Hofmann, Arbeitsgruppe Anerkennung – Gegen Genozid, für Völkerverständigung (AGA)
Jonathan Spangenberg, Zentralrat der Armenier in Deutschland (ZAD)
Valerio Krüger, Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM)
Pfarrer Peter Fuchs, Christian Solidarity International (CSI Deutschland)
